So und nun in loser Folge ein kleines Heidelberg-Erlebnis, das ich neulich hatte anläßlich einer meiner gefürchteten Heidelberg-Fahrten zu den immer empfohlenen Neckarwiesen, wo junge Menschen aller Rassen an Schönheit nichts zu wünschen lassen:
Ja, ich war etwas verspätet eingelangt, zu vorgerückter Mittagsstunde an den Neckarwiesen.
Das Schöne Heidelberg schien aufgestanden und schickte sich an, seine verspielten Plätze anzunehmen.
Sehr lustig wie im Zwergenland drückten sich die schönen Heidelbergerinnen, Heidelberger, Gast- und ausländischen Mitheidelberger und darin versteckt alle möglichen Häßlichen im Schlagschatten der Neckarbäume zusammen, und davon gibt es nicht allzuviele auf den Neckarwiesen.
Dazwischen brennende Wüste: mein Los in Heidelberg.
34°
Nun gut, da hieß es fort mit den äußeren Hüllen und geschwind ein wohlarrondiertes Lager errichtet, das Übergriffen standhielte.
Kaum hatte ich angefangen, meinen wiedererwachsenen Hüftschwarten ein paar gute Streiche Sonnenöl zukommen zu lassen, der erste Kunde:
"Des zeigt awwer zimmlich nach owwe!"
? .. "S'Raad !" ? .. "Gugge se, des geht viel wenischa nuff."
Mit energischem Klappern bockte dieser bärtige Mensch sein Sperrmüllfahrrad vor mir auf, um mir zu beweisen, daß auch er sich einen (wenn auch gebrauchten) Doppelständer geleistet hat. Ich war sprachlos und sah unberührt in Richtung der gefälligen Erstsemester.
Das Unglück fügte es, daß jenes gefällige Erstsemester sich eben davonmachte, denn es wußte um die Gefahren der Sonnenstrahlung für seine blasse Schönheit.
Übrig dagegen blieb eine Frauensperson von verwitterter Grandezza, die hektisch von ihrer Liegestatt in der Mitte des Wiesengrunds auffuhr, da gerade jemand an ihr vorbeilief.
"Wie spät?! Die Uhr?!?"
Erschrocken, so unvermittelt von unten herauf angeschrieen zu werden, gab der Anersuchte artig die Zeit zur Antwort und sprang schnell weiter, denn dies schien kein friedvoller Ort zu sein.
Die Dame legte sich wieder in Position.
Ihren bis unter den Nabel heruntergelassenen schwarzen Einteiler zierte eine äußerst barocke Rosengirlande über dem Bauch.
Aus dem fülligen Textil schauten allerhand Einbauten heraus, die der Fremde niemals im Inneren einer solchen Einrichtung vermutet hätte.
Zuvörderst sprangen zwei Brüste ins Freie, die an Welkheit und Jammer nicht zu übertreffen waren, ihrer Häßlichkeit zum Trotze jedoch steil in den Himmel ragten: Überreste eines ehemaligen Atombusens!
Mit kurios abstehenden Zehen, gebirgigen Knien und gebieterischer Hakennase streckte sich dieses basiliske Wesen an exponierter Stelle in der grellsten Nachmittagssonne.
Dem eingefallenen Mund fehlte ein Stützgebiss dringend.
Da kamen Menschen..
"Wieviel Uhr?!! Die Zeit!! Wieviel Uhr?!??"
Die Angerufenen waren herzlich erschrocken über das sie unvermittelt aus der Tiefe angreifende Ungeheuer und wagten nicht, die genaue Zeitangabe zu versäumen.
Die Alte zog nun einen kleinen Plastikspiegel aus ihrer Plastiktüte und guckte mit zusammengekniffenen Augen hinein.
Ende 70 war die bei Würdigung aller begünstigenden Umstände vorteilhafteste Schätzung für diese agile Person.
Mit zappelig dünnen Fingern zupfte sie ihr lila Haarnetz in Gestalt eines Turban mit großer Schleife zurecht.
So sehr auch gezupft wurde: diese Schleife hing vorne herunter wie ein Jammer und überhaupt war das gesamte Arrangement des Turban dem Zustand hartnäckiger Welkheit anheimgefallen.
Man geht doch mit den Veilchen nicht so in die Sonne!
Bauchlage:
Zappelnd warf sich die Sonnenfreundin herum und ordnete jedes einzelne Zubehörteil neu. Die Oberteile wurden nochmal ganz weit herunter gezuppelt.
Ein unbeschreiblich rotverbranntes und trauriges Rückendekollete kam so zum Vorschein, das an seinem untersten, kaum abgepellten Ende in einen jammervollen weißen Streifen mündete.
Nun gut. Jedem das Seine. Ich ließ mein Auge schweifen, denn eben wurde es richtig belebt.
Halb vier. Heidelberg wach - da zeigt man sich!
Leckere 18-jährige Knaben von fremdländischer Schönheit kickten ihre Fußbälle durch die Herumliegenden, Psychologiestudenten jonglierten Keulen, coole Rave-Mäuse nahmen was, kroatische Papagallos zogen ein Bit.
Und: Mädel, Mädel, Mädel: überall rundherum.
Leider nicht das Richtige für mich. Und ich leider nicht für sie. Und sie wußten das.
Da kamen Leute.
"Die Uhr!!! Welche Zeit?!?? Die ZZeittt!!??"
Zu Tode erschrocken stotterten die so Überfallenen irgendeine ihnen kommod erscheinde Zeitangabe und liefen hastig weiter.
Giftsprühend blickte die Alte um sich. Wollte man sie täuschen?? Mit herabgefallener Miene betrachteten die beiden Männlein aus der vorigen Szene das Spiel.
Unfaßlich! Fragte die Alte doch allen Ernstes jeden, der vorbeikam, nach der Zeit, und gar nicht speziell nur sie beide, die doch soviel Respekt vor dem Werk vergangener Generationen hatten.
Kaum waren Schritte zu spüren, fuhr das unduldsame Wesen wüst empor, um die harmlos Vorüberziehenden mit der Frage nach der Zeit zu traktieren.
Drohte doch immerhin eine Überschreitung der höchstzulässigen Betsrahlungsdauer, und die Allgemeinheit machte sich womöglich schwerster körperlicher Beeinträchtigungen schuldig, wenn diese sich ihrer Auskunftspflicht verweigerte und am Ende noch etwas daherlog!
Bald schien es an der Zeit, wieder eine Brustbesonnung vorzunehmen.
Zunächst wurde aus den Untiefen der dm-Markt-Tüte der bereits vormalig beschriebene Plastikspiegel hantiert, um den exakten Paßsitz der bereits vormalig beschriebenen Tüllschleife des lila Tüllturban wieder herzustellen.
Mit spitzem Finger wurde das gesamte Tüllarrangement in neue Richtungen gezupft, die jedoch keineswegs lebendiger dastanden als die ihnen vorausgegangenen.
Zum guten Schluß ein prüfender Blick auf Wangen und Stirn:
Rot wie ein Affenarsch. Sehr gut! Nun konnte die Rückenlage beginnen, nachdem zuvor ein ebenfalls in der dm-Markt-Tüte befindliches ausgelesenes Readers-Digest-Heft in eine ausgezeichnete dachförmige Gesichtsbedeckung verwandelt wurde.
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Ich erkannte, hier lauerte Gefahr !
Also verließ ich mein Lager, um ein wenig auf den Neckarwiesen herumzuspannen, weil Bewegung in der Sonne gesund ist, und das Bein verschönt.
Doch es war sehr sehr heiß heute auf den Neckarwiesen in Heidelberg.
So lag ich bald wieder bei dem alten Drachen, denn ich nahm noch einen Trunk mit dem unnachahmlichen Orangengeschmack und ein Hackepeterbrötchen, denn ich hatte mir welche geschmiert.
Von links strömte die Menge aus Richtung Heuss-Brücke, und ich sah den Anbrandenden streng entgegen: Vorsicht, Gefahr !
Das wirkte, und so behütete ich unschuldige Menschen davor, arglos ins Netz der alten Kreuzspinne zu laufen.
Die Arachnide indes gab sich wieder rücklings den Bestrahlungen hin: ein gräßliches Schlachtengemälde verbrannten und verhutzelten Fleisches. Darüber unsägliche Nachmittagshitze.
Sogar mir wurde das zuviel, und hechelnd rechnete ich herum, wann der Baumschatten den Müllkübel erreichte, wann mein Velo, und wann endlich mich selbst, meinen Leib.
Sehr lustig wie im Zwergenland waren die im Baumschatten sich drängenden Vorsichtigen und Intoxierenden schon ein gutes Stück an mich herangerückt, weil der Baumschatten mit der Sonne über die Wiese läuft. Sehr lustig!
Die Alte freilich hatte sich sonnensicher plaziert.
Was würde ich ihr antworten, wenn sie mich in Ermangelung besserer Kandidaten gleich nach der Zeit anschreien würde?
Einfach: "Zeit für Sie! Sie haben Sonnenbrand!"
Hier lagen jedoch noch sämtliche anderen Sonnenkrankheiten vor, wie Sonnenstich, Sonnenschlag, Sonnenflecken und Protuberanzen der Oberschenkel, davon ging ich aus.
"Wie späät!?!! Wie spät haben wirs??!!??"
Ach du meine Güte, hatte ich doch übersehen, daß gerade Leute vorübergingen.
In grotesker Verkrümmung war meine lichtbedürftige Nachbarin aufgefahren, um ihr Recht auf die Uhrzeit einzufordern.
Man wußte kaum, welcher Glieder es bedurfte, diese Figuration zu stabilisieren; die Alte sponn ihre Bewegungsfolge jedoch fort, bis ihr aufs Äußerste gestreckter Arm die dm-Markt-Tüte erreichte, um aus dieser die bekannten Requisiten zu angeln, sowie ein Mulltüchlein, womit sie sich erst mal Stirn und Wangen wischte.
Hernach Spiegel und Turban. Wir kennen es ja. Auch der üppige schwarze Einteiler mußte gezupft werden.
Schwupp, das Dächlein des zerlesenen Readers-Digest-Hefts wieder aufgesetzt, und schon konnte die Bestrahlung fortgesetzt werden, denn man konnte noch nicht sicher sein, ob noch irgendwo zu wenig Rot war, vielleicht auf den Fußzehen, welche sehr schwer Farbe annehmen.
So neigte sich der Nachmittag in immer gleichem Hin und Her von Brust und Rücken zur Neige.
Inzwischen schon ganz flüssig von Absud vermischt mit den verschiedenen Schönheitsölen, erwartete ich nichts sehnlicher als den herannahneden Baumschatten und seine Insassen, welcher sich aber unvorteilhafterweise exponentiell verlangsamt hatte, da er in eine andere als die vorberechnete Richtung wuchs, so sehr ich auch meine Abschattungs-Berechnungskünste aus vergangenen Studientagen bemühte.
Es war schon nach sechs und immer noch briet ich in der Sonne.
Vor mir hatte sich gleichsam als Vorhut der Schattenwesen eine Phalanx italienischer Touristinnen eingerichtet; ich würde mal sagen, eine Reisegesellschaft unglaublich gansiger Kindergärtnerinnen, denen womöglich ein Mann zum Heidelberger Glück fehlte - und, oh weh, ich war ja einer.
Sehe dich vor als alleinreisender Mann in H e i d e l b e r g !
Decke um Decke arbeitete sich dieser umtriebige Verein weiter gegen mich vor, und dessen Vorsteherin, eine kecke Heroine mit lüsterner Sonnenbrille, nahm mich ins Visier.
Hilfe! Lauter Frauen. Ich fahr doch nicht wegen den Frauen nach Heidelberg!
Und überhaupt: Seh ich aus wie ein Heidelberger?
Da wandte ich mich wieder dem alten Ungeheuer zu, denn solchermaßen bedrängt, zog ich es vor, wohlerzogen die Uhrzeit aufzusagen.
Aha! Halb sieben und das Lichtbad schien vollbracht.
Nachdem der traurige Tüllturban minutenlang gezupft war, gab die dm-Markt-Tüte eine milchkakaofarbene Perlonstrumpfhose heraus, in die die Alte unter hektischen Zupfbewegungen ihre Beine hineinsteckte.
Ebenso wurde das ausladende schwarze Bademöbel wieder über den Brüsten verzurrt, was mancherlei Rütteln und Schütteln bedurfte.
Nun gebar die dm-Markt-Tüte ein elegantes schwarzes Spitzenkleid mit schwarzen Rosen-Applikationen und kilometerlangem Reißverschluß, in welches die in heftiger Entschlossenheit agierende Person einfuhr.
Sodann wurden der dm-Markt-Tüte ein Paar beigefarbene Wörrishofener Schuhe entnommen, mit denen jeder Gang eine entspannende Wohltat auch für unseren Fuß wird.
Doch halt. Die dm-Markt-Tüte gab ja noch einen stumpfblauen Wollrock her, dann mußte das Schwarze wohl das Neglige sein.
Oh ja, der Wollrock von Acetat und Viskose wurde über das ganze Ensemble drapiert, und am Ende fand sich auch noch ein beige-graues Blüslein in den Tiefen der dm-Markt-Tüte, obwohl sich kein Mensch vorzustellen getraut, daß so viele Zubehörteile mondänen Strandlebens in einer einzigen dm-Markt-Tüte wohnen können.
Solchermaßen gerüstet und neu gezupft verließ die Alte das Schlachtfeld.
Schönheit muß leiden !
Ja, die Eitelkeit.
Aber nun wurde es mir zu gefährlich. Der Schatten hatte mich erreicht, und ich lag inmitten derselben Lichtstimmung wie ein Dutzend liebestolle italienische Kindergärtnerinnen, und es kamen immer noch welche dazu.
Hurtig packte ich mein Bündel, und von der Abendsonne beschienen fuhr ich hinaus aus der sommerheißen Stadt Heidelberg, bis mich in Sandhausen der Hardtwald kühl und dunkel umfing.
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