Nach einer wahren Begebenheit aus meiner Jugend
Neulich stand ich an der Bar.
Da stieß mir eine Dame den Finger in die Stelle, wo Siegfried ermordet wurde.
Erschrocken drehte ich mich um.
Wenn ich nicht gleich meine Zigarre ausmachte, meinte sie, würde Furchtbares geschehen.
Also löschte ich meine Zigarre, über deren Odeur sich durchaus streiten läßt, nicht ahnend, daß das Furchtbare auch geschehe, wenn ich gehorchte.
Dann erhielt ich Gelegenheit, mich für meine Ungehörigkeit zu rechtfertigen.
Die Dame belohnte mich nun für meinen Folgsam mit einer iberischen Zigarette. Ich hatte nicht die geringste Lust, mich zu erkundigen, wie sie denn in deren Besitz gelangt sei.
Nach einem guten Schmauch zog meine noch immer in großer Entschlossenheit fortfahrende Nachbarin ein schwarzes Fläschchen aus dem Jackett. Sie machte mich mit Aufschrift und Inhalt desselben bekannt, indem sie mir das Eau de Toilette strikt vor die Nase hielt.
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Schamrot mußte ich erneut Beichte ablegen: Obwohl ich abends stets ein Produkt von Zedernauszügen auftrage, war ich heute natur.
Die Dame verzieh mir, ließ es sich aber nicht nehmen, mir ihr Antaeus selbst hinter die Ohren zu reiben.
Da stand ich - entwöhnt und wohlriechend, und hatte mit dem Menschen, als der ich vor kurzem das Lokal betrat, nur mehr wenig gemein.
In einem Anflug von Ungewissheit über meine Person entschloss ich mich zum Rückzug und sagte:
"Das Bier ist aus, der Rauch ist weg - ich geh nach haus, du alte Schne.."
Nein, das sagte ich natürlich nicht, ich dachte es nur.
Doch meine strenge Tutorin wußte, was ich dachte.
Ich ging, und ein Griff in meine Hosentasche erhärtete: das ganze Etui Zigarren hatte sie vorsorglich beschlagnahmt.
© Rainer Jehl
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